Stuttgarts Zahnradbahn
Zwischen Marienplatz und Degerloch seit 1884
Wie man eine Leiter hinaufklettert, weiß jeder. Die Zahnradbahn macht es nicht anders: Wie der Frosch auf der Leiter erklimmt sie die Höhe. Die "Leiter" ist die Zahnstange zwischen den Schienen. Die in Stuttgart ursprünglich verwendete Bauart heißt deshalb auch Leiterzahnstange. Und die „Hände“, welche in die "Sprossen" der Leiter eingreifen, sind die breiten Noppen auf dem Zahnrad unter dem Wagen.
"Cog-railway", also Zahn-Eisenbahn, sagen deshalb auch die Amerikaner; "Rack-railway" – die Bahn mit dem Gleis, das wie ein Rechen aussieht – die Engländer. Die Stuttgarter nennen sie einfach die "Zacke", auf gut schwäbisch sogar "Zacketse". Und sie mögen ihre schiefe Bahn innig, auch wenn sie das nicht immer offen zugeben.
Die Doku über die neuen Zahnradbahnen
Die neuen Zahnradbahnen wurden vom Rohbau bis zur offiziellen feierlichen Inbetriebnahme filmisch begleitet. Hier haben Sie die Möglichkeit exklusive Einblicke zu erlangen:
Zukunftsfähig
Die SSB setzt auch weiter auf den Erhalt des Stuttgarter Wahrzeichens Zahnradbahn. Im Jahr 2021/22 hat der Hersteller Stadler Rail drei neue Triebwagen und drei neue Fahrradvorstellwagen für die Zahnradbahn ausgeliefert. Ab Herbst 2022 gingen die neuen Fahrzeuge schrittweise in den Linieneinsatz
Die neuen Zahnradbahntriebwagen sind in einem rund über acht Meter langen Bereich niederflurig und damit barrierefrei ausgestaltet. Dort befindet sich neben einigen Sitzplätzen auch die Mehrzweckfläche für Rollstühle und Kinderwagen. Weitere Sitzgelegenheiten gibt es im vorderen und im hinteren Wagenbereich, drei Treppenstufen sind zu erklimmen, um dorthin zu gelangen. Diese ungewöhnliche Bauweise ist erforderlich, um die Zahnradbahntechnik im Unterboden unterzubringen. Um den barrierefreien Zugang zum Niederflurbereich, der eine Fußbodenoberkante von 40 Zentimeter aufweist, zu ermöglichen, müssen die Bahnsteige an einzelnen Haltestellen teilweise noch etwas angepasst werden. Bedingt durch die teils große Steigung der Haltestellen und Bahnsteige, die nicht geändert werden kann, ist es allerdings nicht möglich, für die Zahnradbahn die formale Barrierefreiheit zu erreichen.
Gut erreichbar
Mit den anderen öffentlichen Verkehrsmitteln ist die Zacke gut erreichbar: An den beiden Endhaltestellen Marienplatz und Degerloch besteht Anschluss an die Stadtbahnlinien (unterirdisch) und Buslinien der SSB. Vom Hauptbahnhof Stuttgart aus erreicht man die Zacke mit der Stadtbahnlinie U 14 Richtung Heslach bis zur Haltestelle Marienplatz. Zurück geht es ab der Stadtbahn-Haltestelle Degerloch (unterirdisch, dem U-Symbol folgen) mit der U5, U6 oder mit der U12 Richtung Innenstadt.
Speziell für Radler
Das gibt es nur in Stuttgart: Weil auch geübte Radfahrer die steilen Stuttgarter Hänge lieber motorisiert erklimmen, können sie ihren Drahtesel (kostenlos!) dem speziellen Fahrradwagen anvertrauen, den die Zahnradbahn vor sich herschiebt – und zwar täglich ab 5.45 Uhr (sonntags ab 7 Uhr), nur bergauf und durchgehend vom Marienplatz bis Degerloch. Fürs Auf- und Abladen sind die Radler selbst zuständig. Im Fahrgastraum des Triebwagens dürfen keine Fahrräder mitgeführt werden. Alle Regeln können Sie in unserer Broschüre (PDF) nachlesen.
Es gelten die gemeinsamen Beförderungsbedingungen des VVS.
Englische Erfindung
Erfunden wurde das Verkehrsmittel Zahnradbahn sozusagen irrtümlich. Die ersten Zahnstangenlokomotiven Anfang des 19. Jahrhunderts fuhren nicht etwa am Berg, sondern auf der Ebene. Weil die flachen, spröden Eisenschienen nicht viel aushielten, waren die Dampfloks sehr leicht gebaut – sie zogen nicht viel und drehten rasch durch. So musste ein Hilfsmittel her: die Zahnstange, in die (damals) versuchsweise eine komplizierte Mechanik aus langen Stangen, eisernen Füßen ähnlich, seitlich neben dem Gleis eingriff. Der britische Ingenieur John Blenkinsop ließ sich anno 1812 die erste Lokomotive mit dem namensgebenden Zahnrad patentieren. Als dann jedoch die schwere Stahlschiene eingeführt wurde, brauchte die normale Eisenbahn keine Zahnstange mehr. So waren die ersten Zahnradloks rasch vergessen.
Erst als Mitte des 19. Jahrhunderts eine völlig neue Branche aufkam – der Tourismus – baute der Amerikaner Sylvester Marsh1869 die weltweit erste Berg-Zahnradbahn: auf den Mount Washington in den USA. Dies war die Initialzündung: Innerhalb der nächsten zehn Jahre entstanden vor allem in Europa vielerorts Zahnradbahnen zur touristischen Erschließung der Bergwelt. Deutschlands erste Zahnradbahn von 1876 fuhr in Württemberg und diente gewöhnlicheren Zwecken: Sie beförderte Eisenerz vom Bergwerk Tiefer Stollen zur königlichen Gießerei Wasseralfingen bei Aalen. 1883 folgte die Drachenfelsbahn zu Königswinter, Deutschlands erste öffentliche Zahnradbahn.
Die Anfänge
Die Stuttgarter Zahnradbahn fährt seit 1884. Sie diente vor allem als "Arbeiterbahn" von den Filderorten in die "Residenz". Außerdem beförderte sie Feldfrüchte und Milchkannen zum Markt und Baustoffe in die aufstrebende Landeshauptstadt. Damit wurde – wenn auch mühsam – Geld verdient, und so hat sie nicht der Staat erbaut, sondern zwei Unternehmer: Emil Kessler, Gründer der Maschinenfabrik Esslingen, und Karl Kühner, Ziegeleibesitzer aus Degerloch. Kesslers Fabrik als "Systemhaus" lieferte alles aus einer Hand – die aufwändigen Gleisanlagen, die raffinierten Lokomotiven und die dazugehörigen Wagen. Immerhin war "Esslingen" der weltweit zweitgrößte Hersteller von Zahnradbahnen.
Heute gehört Stuttgarts Zahnradbahn zu den vier letzten ihrer Art in Deutschland – neben der Drachenfels-, der Zugspitz- und der Wendelsteinbahn. Und sie ist die einzige davon, die dem täglichen Alltagsbetrieb einer Großstadt dient und "für ein Taschengeld" befahren werden kann. Die prächtige Aussicht ist dennoch "im Preis drin" – und das ganze Jahr ein Erlebnis! Von den historischen Fahrzeugen aus dem Jahre 1935, 1898 (Triebwagen und Vorstellwagen) und 1982 steht jeweils ein kompletter Zug im Straßenbahnmuseum Stuttgart in Bad Cannstatt, weitere Fahrzeuge sind bei der Härtsfeld-Museumsbahn Neresheim (www.hmb-ev.de) im Einsatz.
Streckenlänge | 2,2 Kilometer |
Spurweite | 1000 Millimeter |
Höhenunterschied | Marienplatz / Degerloch: 210 Meter |
Maximale Neigung | 17,8 Prozent (Betriebsgleis zum Depot Filderstraße: 20 Prozent) |
Eröffnungen | 25.08.1884: (Stuttgart Zahnradbahnhof Filderstraße – Degerloch Zahnradbahnhof) |
Fahrzeughersteller | Stadler Rail, Bussnang/Schweiz |
Fahrradwagen | Stadler Rail + Ferdinand Steck, Bowil/Schweiz |
Betreiberin | Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) |
Fahrzeugbestand | 3 vierachsige Zahnradtriebwagen der Bauart S-ZT 4.2 (Baujahr 2021) |
Die Technik
Stuttgarts Zahnradbahn benutzte am Anfang die sogenannte Riggenbach-Leiterzahnstange. Sie ist nach dem Ingenieur Niklaus Riggenbach benannt, der 1871 die erste schweizerische Zahnradbahn baute. Seit einiger Zeit werden die in Stuttgart verwendeten Zahnstangen jedoch aus normalen Eisenbahnschienen mit breitem Kopf herausgefräst. Weil die Stuttgarter Bahn im Straßenraum verläuft, ist die Zahnstange so tief eingebaut, dass sie nicht höher liegt als die normalen Schienen. Allerdings kann die Zahnradbahn dadurch nicht auf andere Bahnstrecken wechseln. Deshalb benötigen die Fahrzeuge der "Zacke" überall ein Zahnradgleis und spezielle Weichen.
Eine Achse jedes Drehgestells der Triebwagen ist mit einem Zahnrad ausgerüstet – jeder vierachsige Wagen besitzt also zwei Zahnräder. Angetrieben und gebremst werden die Wagen nur über die Hauptzahnräder, die in die Zahnstange eingreifen. Die Räder auf den Schienen laufen nur lose mit. Auf der Stuttgarter Zahnradbahn fuhren zunächst nur Dampfloks, ab 1902 auch elektrische Triebwagen. 1935 folgte die zweite Generation elektrischer Triebwagen, 1982 die dritte, 2023 die vierte.