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„Herrliche Aussicht über den Thalkessel“ - Vor 140 Jahren: Stuttgarter Zahnradbahn eröffnet – Jubiläumsfeier am 5. Oktober

Die Zahnradbahn zählt seit 140 Jahren zu den Stuttgarter Attraktionen. Sie ist nicht nur ein unverzichtbares Nahverkehrsmittel, sondern immer auch schon ein Tourismusmagnet – heute mehr denn je. Anfang Oktober 2024 gibt es ein Jubiläumsfest.

Im Hochsommer anno 1884, am 23. August, war die Zahnradbahn Stuttgart—Degerloch nach einer Rekordbauzeit von drei Monaten – nur in Handarbeit! – eröffnet worden. Damals starteten die Züge noch in der ersten Talstation, die heute als Fahrzeugdepot dient und durch das Theater Rampe bekannt ist, welches das gleiche Gebäude nutzt. Schon seinerzeit bildete der Tourismus eine wichtige Zielgruppe für die neue Bahnverbindung – nicht weniger als heute. Das sieht auch Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper so. „Wenn es die Zacke nicht gäbe, müsste man sie erfinden“, sagt Nopper: „Schöner als von der Zacke aus kann man Stuttgart auf der Schiene gar nicht erleben."

Für den Betrieb der städtischen Zahnradbahn ist seit über hundert Jahren die Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) zuständig. Für den Vorstandssprecher und Technischen Vorstand der SSB, Thomas Moser, ist die Zahnradbahn ein Wahrzeichen der Landeshauptstadt – „sie gehört zu Stuttgart wie der Fernsehturm.“ Die SSB lege auch Wert auf Tradition, „deshalb feiern wir natürlich gerne so ein Jubiläum.“  Daher veranstaltet die SSB am Samstag, 5. Oktober, ein kleines Zacke-Fest. Ort ist das historische Wagenhalle der Zahnradbahn in der Filderstraße in Stuttgart Süd, wo die Fahrzeuge täglich übernachten.

Steile Wege, schöne Aussicht  | Die Zahnradbahn verbindet den Marienplatz im Stuttgarter Süden mit dem Ortszentrum des Stadtbezirks Degerloch. Auf nur rund zwei Kilometer Länge bewältigt sie über 200 Meter Höhenunterschied mit einer maximalen Steigung von rund 18 Prozent. Auch wenn an beiden Endpunkten direkter Anschluss an das Netz der Stadtbahn der SSB und deren Buslinien besteht, ist die Zahnradbahn auch für den Binnenverkehr zwischen den beiden Stadtbezirken wichtig – und für die Anlieger entlang dem steilen Streckenverlauf.

Abfahrt der Bahn ist alle 15 Minuten, die Fahrt selbst dauert zehn Minuten. Die Bahn fährt täglich von etwa fünf Uhr morgens bis 21 Uhr am Abend, dann verkehrt ein Kleinbus. Mit dem Fahrplanwechsel ab Mitte Dezember 2024 wird die abendliche Betriebszeit auf Wunsch der kommunalen Gremien probeweise um zwei Stunden verlängert. Auf der Zahnradbahn gilt das reguläre Ticketangebot des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS). Somit kann die Steilstrecke auch mit dem Deutschlandticket genutzt werden. Die einfache Fahrt zum VVS-Tarif kostet 3,30 Euro.

Die Fahrt ist kurz, aber sehr abwechslungsreich und genussvoll. Der Schienenstrang windet sich, teils als „Straßenbahn“, meist entlang der sehr steilen Alten Weinsteige in die Höhe, der ältesten mittelalterlichen Straße im Stuttgarter Süden. Fast intim geht es mitten durch grüne Hausgärten und im Zentimeterabstand an Hoftoren vorbei – doch die Bahn fährt nicht schnell und die Anwohner sind auf den Bahnverkehr eingespielt. Zumal die Zahnradbahn vor über fünf Generationen schon unterwegs war, bevor entlang den Gleisen überhaupt die ersten Häuser gebaut wurden. Die „herrliche Aussicht über den Thalkessel“ lobten schon anno 1884 zur Eröffnung die Gazetten. Bergauf sitzt man am besten links – die schönste Perspektive bietet sich aber wohl bei der Talfahrt, dann auf der rechten Seite.

Von der Privatbahn zum Kommunalbetrieb | Stuttgarts Zahnradbahn wurde im Jahr 1884 auf private Kosten als Vorführmodell erbaut, durch den Unternehmer Emil Kessler, Chef der Lokomotivfabrik in Esslingen, damals ein Global Player im Fahrzeugbau mit Weltruf für Württemberg. Sie war Teil des Netzes der privaten Filderbahngesellschaft, das – ohne Zahnrad – bis Hohenheim, Neuhausen und Stuttgart-Vaihingen reichte. Seit 1920 gehört dieses Gesamtnetz zur kommunalen SSB. Die Zahnradbahn besaß zu Königs Zeiten enorme Bedeutung für den Arbeiterverkehr und Milchtransport nach Stuttgart. Während des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg war sie die am stärksten ausgelastete Linie der SSB mit über 10 000 Fahrgästen pro Tag. Auch heute bildet sie die kürzeste und schnellste Verbindung im ÖPNV zwischen südlicher City und der Filderhöhe. Im Jahr 2022 beschaffte die SSB beim Hersteller Stadler Rail in der Schweiz drei neue Fahrzeugeinheiten, die mit originalem Degerlocher Wein auf die Namen der Wohnquartiere Weinsteige, Degerloch und Haigst getauft wurden. 

Stuttgart ist die Stadt der Bergbahnen – alle in der Hand der SSB: Außer der Zahnradbahn gibt es die lautlose und altehrwürdige Standseilbahn (Seilbahn auf Schienen) zwischen Heslach und Waldfriedhof, die mit 8,5 Prozent geneigte Stadtbahnlinie U 15 im Abschnitt zwischen Olgaeck und Ruhbank, und schließlich die mit Liliput-Dampfloks betriebene Killesberg-Parkeisenbahn, die eine Steigung von über vier Prozent bewältigt und ein noch stärkeres Gefälle.

Eine von vier | Außer der Zahnradbahn in Stuttgart gibt es drei weitere solcher Betriebe – die Touristenbahnen auf den Drachenfels, die Zugspitze (Oberbayern) und den Wendelstein. In Deutschland gab es einst noch viel mehr Zahnradbahnen. Historische Fahrzeuge der Stuttgarter Zahnradbahn stehen im Straßenbahnmuseum Stuttgart in Bad Cannstatt, ein weit über hundert Jahre alter Personenwagen mit der typischen „Holzklasse“ fährt bei der Härtsfeld-Museumsbahn (Neresheim). Eine alte Dampflokomotive, ebenfalls von Emil Kesslers Fabrik erbaut, genau die Type wie für Stuttgart und gleich alt, steht im Freilichtmuseum Salzburg (ehemalige Gaisbergbahn). Historische Züge mit Dampflok, in Lizenz bis auf die Schraube nach den gleichen Plänen erbaut wie für Stuttgart, fahren auf der Achenseebahn in Tirol. Städtische Zahnradbahnen findet man auch in Zürich, Genua, Turin, Budapest und Lyon, aber nur die in Genua ist von der Erscheinung her vergleichbar mit Stuttgart. Zürich, Genua und Lyon haben mit Stuttgart weiter gemeinsam, dass es in allen drei Städten sowohl eine Zahnradbahn wie eine Standseilbahn gibt. 

Bildzeile
Anno 1884: Emil Keßlers stolze Lokomotive mit der Werknummer 2000 in der damaligen Talstation an der Filderstraße. – Eberhard Schreiber/Archiv SSB