Neues Fahrgefühl auf der Zahnradbahn · Erster neuer Zug im Fahrgastbetrieb
Darauf haben Fahrgäste, Anlieger und Fans lange gewartet: Jetzt steht sie im öffentlichen Einsatz, die erste neue Zuggarnitur der Stuttgarter Zahnradbahn. Am Samstag, 8. Oktober, übergab Thomas Moser, Technischer Vorstand der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), die Kombination aus Triebwagen 1102 und Fahrradwagen 1111 dem Linienverkehr. Im Laufe dieses Jahres erwartet die SSB, dass sie mit zwei neuen Zügen den planmäßigen Einsatz auf ihrer Zahnradstrecke komplett übernehmen kann. Die feierliche Namensgebung aller drei neuen Einheiten ist für das Frühjahr 2023 vorgesehen.
Mit einem kleinen Festakt am Samstagnachmittag auf dem Marienplatz würdigte Thomas Moser diesen ersten Schritt, um die städtische Zahnradbahn weiter in die Zukunft zu führen. „Jetzt können unsere Fahrgäste das neue Fahrgefühl erleben“, freute sich Vorstandssprecher Moser: „Sanfter und eindrucksvoller kann man nicht nach Degerloch hinauf gleiten.“ Neben den angenehmen Fahreigenschaften des neuen Triebwagens seien es die Panoramafenster, das gelungene Design und der niveaugleiche Einstieg, der die kurze Höhenreise nun noch mehr zu einem kleinen Erlebnis mache: „Die Zahnradbahn bildet jetzt noch mehr ein Aushängeschild für Stuttgart, eine einzigartige Sache für die Einheimischen wie für die Touristen.“
Wichtig für die Kundinnen und Kunden ist außerdem der neue Mehrzweckbereich, der nun auch für Kinderwagen und Traglasten eine gut zugängliche Fläche bietet, sowie der Rollstuhlplatz, der für einen sicheren Aufenthalt gehbehinderter Fahrgäste sorgt. „Ganz barrierefrei machen können wir die Zahnradbahn aber nicht“, so Moser: „Der Berg, den wir hinauffahren, bleibt so steil, wie er ist.“ Das beträfe somit auch die steilen Haltestellen unterwegs. Allerdings werde die SSB in nächster Zeit einige Bahnsteig so umbauen, dass es möglichst fast keinen Höhenunterschied mehr beim Einsteigen gebe.
Mehr Platz für Fahrräder
Besonders angetan hat es Thomas Moser der neue Fahrradwagen, „ein tolles Angebot der SSB für die Radler.“ Denn statt wie bisher zehn Fahrräder fasst das neue Fahrzeug nun 20 Drahtesel und sogar ein Lastenrad. Wie bisher auch gelten für die Mitnahme der Fahrräder einschlägige Regeln, die am Bahnsteig ausgehängt sind. Die Mitnahme ist auch jetzt nur bergwärts zwischen dem Marienplatz und der Endhaltestelle Degerloch möglich. Das Lastenrad darf auch ohne Ladung nicht zu breit, lang oder hoch sein, damit der Fahrer der Zahnradbahn freie Sicht über den gesamten Fahrradwagen hat. Nicht nur schwäbische Gemüter wird es freuen, dass der Fahrradtransport weiterhin kostenlos ist. Thomas Moser appelliert an die Radler, sich an die Mitnahmeregeln zu halten, insbesondere den Fahrradwagen und den Triebwagen sauber zu halten und nicht auf dem Bahnsteig zu radeln: „Dann haben wir alle miteinander Freude an dieser besonderen Einrichtung.“
Ablösung Zug um Zug
Die drei neuen Zuggarnituren bestehen jeweils aus einem elektrischen vierachsigen Triebwagen und einem bergseitigen Vorstellwagen für den Fahrradtransport. Die Auslieferung der kleinen Flotte hatte im Herbst 2021 begonnen. Seit Juli 2022 sind alle drei neuen Triebwagen und die drei neuen Fahrradwagen in Stuttgart. Weil der Platz auf der Gleisanlage und im Betriebshof knapp ist, kann die Ablösung der bisherigen Fahrzeuggeneration durch die neue nur Schritt für Schritt erfolgen.
Die neuen Wagen ersetzen die bisherigen Fahrzeuge von 1982, die ihre wirtschaftliche Lebensdauer erreicht haben. Lieferant der neuen Fahrzeugflotte ist der schweizerische Konzern Stadler Rail, der in seinem Werk in Bussnang am Bodensee maßgeschneiderte Spezialfahrzeuge herstellt. Stadler Rail ist weltweiter Marktführer auf dem besonderen Markt für Zahnradbahnen. Für die SSB liefert Stadler seit zehn Jahren auch die Züge für das Stuttgarter Stadtbahnnetz. Daher wundert es nicht, dass die neuen Wagen der Zahnradbahn gestalterisch wie eine „halbe Stadtbahn“ wirken.
Übergangsphase hat begonnen
Während die erste Zugeinheit nun im Linienverkehr läuft, wird mit der zweiten Garnitur weiterhin das vorgeschriebene Testprogramm außerhalb des Fahrgastverkehrs durchgeführt, zum Teil auch in der Nacht. Außerdem müssen weiterhin Fahrer und weitere Mitarbeiter der SSB auf den neuen Fahrzeugen ausgebildet werden. Sobald auch die zweite Einheit amtlich abgenommen ist, voraussichtlich im Spätjahr, möchte die SSB dann beide Linienkurse der Zahnradbahn mit den neuen Zügen beschicken.
Der dritte Triebwagen ist der Prototyp, der im Herbst 2021 als erster nach Stuttgart kam. An ihm sind einige Änderungen nötig, damit er technisch dann den anderen beiden Triebwagen vollständig gleicht. Wenn der neue Fahrzeugpark vollständig einsatzfähig ist, kann die letzte alte Zuggarnitur endgültig ausscheiden. Bis auf weiteres herrscht nun aber zunächst ein gemischter Betrieb mit einem neuen und einem alten Zug. Thomas Moser: „Ich bitte die Fahrgäste um Verständnis, wenn einmal eine Fahrt ausfallen sollte – wir sind immer noch in der Probephase.“
2023 wird gefeiert
Die bisherigen drei Triebwagen, die genau 40 Jahre alt sind, werden nicht mehr benötigt. Eine Einheit steht bereits im Straßenbahnmuseum der SSB in Bad Cannstatt. Dort befinden sich weitere Fahrzeuge der Zahnradbahn, die zwischen 70 und 120 Jahre alt sind. Falls sich für die weiteren Triebwagen kein Liebhaber findet, werden sie verschrottet.
Für das Frühjahr 2023, wenn alle drei neuen Einheiten ihre amtliche Zulassung besitzen und auch bereits viele Fahrtkilometer zuverlässig zurückgelegt haben werden, hat sich die SSB vorgenommen, mit einem zünftigen Fest und gebührender Prominenz die in Stuttgart übliche „Taufe“ der Fahrzeuge auf die Namen der anliegenden Stadtteile vorzunehmen.
Eine ganz besondere Nahverkehrslinie
Stuttgarts Zahnradbahn bildet eine wichtige innerstädtische Verbindung zwischen dem Stadtbezirk Süd und dem Stadtteil Degerloch. Die gut zwei Kilometer lange Linie ist fast bis zu 20 Promille steil. Sie wird täglich etwa zwischen 5.30 morgens und 21 Uhr abends befahren. Alle 15 Minuten verlässt ein Zug die Tal- und die Bergstation. Es gibt eine Ausweichstelle und fünf weitere Zwischenhalte. Die Fahrt dauert nur zehn Minuten, ist aber durch die malerische Aussicht nach einer oder gar zwei Seiten außerordentlich originell und genussreich. An beiden Endpunkten besteht Anschluss an das Stadtbahnnetz der SSB.
Die Zahnradbahn ist als Linie 10 in das kommunale Nahverkehrsnetz eingebunden, es gilt der normale preisgünstige Nahverkehrstarif des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS). Die Mitfahrt über die gesamte Streckenlänge erfordert ein Ticket für eine Zone, dieses kostet 2,80 Euro am Automat oder 2,65 Euro bei digitalem Kauf. Damit ist Stuttgarts Zahnradlinie die preisgünstigste Zahnradbahn in Deutschland oder Europa. Die neue Zugeinheit der Zahnradbahn ist jede halbe Stunde unterwegs.